Nichts hat in den letzten Jahren einen tieferen Riss in der sozialistischen und kommunistischen Bewegung erzeugt als der Beginn der Militärischen Sonderoperation. Zumindest in der Ersten Welt.
Die Linke der Zweiten und Dritten Welt sind in ihrer überwältigenden Mehrheit mehr oder minder offene Unterstützer der Russischen Föderation Drei Hauptlinien haben sich dabei herausgebildet:
I) Offene Parteinahme für die Ukraine, ihr herrschendes Regime und die sie federführend unterstützende westliche Wertegemeinschaft und Verurteilung eines angeblichen „russischen Angriffskrieges“
II) Äquidistanzposition: Es handelt sich um einen Konflikt zwischen gleichermaßen abzulehnenden imperialistischen Blöcken, in der die Arbeiterklasse keine Partei beziehen sollte und sich maximal auf die Bekämpfung der imperialistischen Bestrebungen im eigenen Land/Clock beschränken sollte
III) Die russische Sondermilitäroperation ist der erste große antiimperialistische Gegenschlag seit dem Zusammenbruch des Sozialismus in Osteuropa, Teil eines Prozesses der nationalen Befreiung Russland vom postsowjetischen Status einer Neokolonie der USA bzw eines Unipolaren Imperiums, dessen Kern die USA darstellen und Auslöser einer globalen Revolte des globalen Südens gegen dieses Unipolare Imperium und Geburtsstunde einer neuen Weltwirtschaftsordnung
Die Erste Position kann in unserer Betrachtung vernachlässigt werden, weil es sich dabei lediglich um eine opportunistische Unterwerfung unter das imperialistische Propagandanarrativ handelt und mit dem Verrat der SPD von 1914 gleichzusetzen ist. Für die tatsächliche, weil antagonistische Linke, die den Sozialismus und damit die Überwindung des Kapitalismus zum Ziel hat, sind nur die Position II und III relevant. Position II wird unter anderem Vertreten von GSP und den verschiedenen Ablegern der griechischen KKE, der MLPD und den meisten trotzkistischen Gruppen vertreten.
Position III wird von der DKP , den Freidenkern und zahlreichen kommunistisch oder sozialistisch gesinnten Einzelpersonen unterstützt. Es gibt vor allem bei größeren Organisationen, die dem linken Spektrum zugordnet werden, in der Regel Zwischenpositionen, die die verschiedenen Strömungen und Flügel in der jeweiligen Partei repräsentieren. Die Partei DIE LINKE vertritt Position I mit Tendenzen zu Position II und das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht vertritt nach außen Position II, hat aber intern starke Tendenzen in Richtung Position III.
Es gibt international in der kommunistischen und sozialistischen Bewegung einen klaren Unterschied zwischen der Linken der Ersten Welt und der der Zweiten und Dritten. Letztere tendieren stark zu Position III, während in den imperialistischen Ländern die II. Position dominiert.
Unterschiedliche Imperialismuskonzeptionen: „Reise nach Jerusalem“ oder „Bundesliga“
Position II: Der Imperialismus ist eine Bundesliga, in der jeder Staat gleichberechtigt mitspielt
Diese Neu- und Uminterpretation der Leninschen Imperialismustheorie erklärt den Imperialismus zu einem nicht genauer definierten Weltsystem in dem jede erfolgreiche Volkswirtschaft umso imperialistischer wird, je mehr sie sich in der ökonomischen Rangfolge nach oben arbeitet. Diese Theorie wird vor allem von der griechischen KKE vertreten. Eine Trennung der Länder zwischen Neokolonien und Imperialistischen Räuberstaaten, wie sie noch von Lenin konzipiert wurde existiert nicht. Eine genaue Betrachtung der Grundlagen dieses Erfolges findet kaum statt, Eigentumsverhältnisse werden nur oberflächlich oft an Hand der Rechtsform der Betriebe gemacht.
Eine in die Tiefe gehende Analyse der der Eigentumsverhältnisse und der ökonomischen Dynamik der Volkswirtschaften wird weitestgehend ausgespart. Die Argumentation ist hierbei vor allemformaljuristisch.
Position III: Der Imperialismus ist eine „Reise nach Jerusalem“. Jede Runde fliegt einer raus und die USA haben gewonnen
Hier handelt es sich um eine stringente Fortsetzung der Leninschen Imperialismustheorie, die die Entwicklung der Welt seit dem Erscheinen von Lenins Buch „Der Imperialismus als höchstes Stadium des Kapitalismus“ unter Anwendung der selben Methodik weiterverfolgt. Strittig ist in dieser Frage unter ihren Vertretern der Grad an noch vorhandener imperialistischer Konkurrenz und zwischenimperialistischer Widersprüche. Können wir auf Basis des Machtverhältnisses auf Eben der Monopole und Kapital-Cluster noch von einer ernstzunehmenden Konkurrenz für das US-Finanzkapital sprechen z.B. in Gestalt von Japan, Deutschland und Frankreich oder ist die Dominanz der USA dermaßen erdrückend, daß man nur noch von einem Unipolaren Imperium sprechen kann, in der das Verhältnis Zwischen den USA und den anderen westlichen Staaten maximal mit Rom und seinen italienischen Bundesgenossen verglichen werden kann?
Meine 2 Cent:
In unserem WÖRD-Kollektiv vertreten Bob und Bernd im groben Position II und Kay und ich Position III. Rene würde ich Position II zurechnen mit Tendenzen zu Position III. Das ist natürlich oberflächlich und sehr vereinfacht.
Die Theorie des GSP unterscheidet sich auch von der oben genannten Theorie der KKE und ihrer Ableger und hat im Wesentlichen nur die Schlussfolgerung gemein. Imperialismus als Begriff kommt beim GSP höchst selten vor. Es findet vor allem eine Gleichmacherei aller Formen und Farben des Kapitalismus statt, ohne historischen und wirtschaftlichen Kontext. Die Zustände werden exzessiv bis ins subatormare Detail beklagt und je bis zur Belanglosigkeit detailversessener die Kritik angebracht wird, umso nichtssagender und utopistischer ist das fast jenseitige, ideale Ziel.
Als Weg dahin wird eine Bewusstwerdung der Arbeiterklasse beschrieben, die dann ganz von alleine auf nicht näher definierte Weise die ideale Welt herbeizaubert. Ignoriert werden dabei historische Erfahrungen beim Aufbau von realem Sozialismus, die ja mittlerweile mannigfaltig sind und so ziemlich alle Kulturräume, Klimabedingungen, Grade an Rohstoffreichtum, Produktivkraftentwicklungsstand und sonstige Bedingungen umfaßt, die man in Ländern der Zweiten und Dritten Welt vorfinden kann. Inklusive unterschiedliche Grade an Erfolg bei der Umsetzung.
Dem gegenüber steht eine erprobte, wissenschaftlich erarbeitete Konzeption, die aus dem Marxismus-Leninismus hervorging und die durch die Geschichte, die reale Auseinandersetzung mit den realen materiellen Bedingungen der Welt, also im Wechselspiel zwischen Idee und Wirklichkeit geschaffen wurde und stetig weiterentwickelt wird. Sie umfaßt Theorien, Strategien und Taktiken zur Gewinnung der Arbeiter für ihre eigene Sache, also die Transformation der Klasse an sich zur Klasse für sich, unterschiedlichste Erfahrungen im Umgang mit den verschiedenen Erscheinungen der bürgerlichen Gesellschaft, den Aufbau einer sozialistischen Wirtschaft, Beseitigung von Hunger und Elend und absolutem Mangel für alle Mitglieder der Gesellschaft, Bildung der Massen, Gesundheitsversorgung für alle.
Für unsere Auseinandersetzung zum Ukraine-Konflikt und zur Einschätzung der globalen Lage im WÖRD-Kollektiv sind diese Gegensätzlichen theoretischen Konzeptionen auch die Ursache für die beiden Positionen, nicht die künstlerische Neuinterpretation der Leninschen Imperialismus-Theorie.
Daher ist es für mich besonders belustigend, wenn in Bezug zum GSP von „Wissenschaftlichkeit“ gesprochen wird, nur weil es sich um einen Club überwiegend von Akademikern und anderen Vertretern nichtproduktiver Sektoren handelt und in Bezug auf den Marxismus-Leninismus und seine Derivate abwertend von „ML-Ideologie“. Oben wird zu unten, der Himmel ist Grün und die Wiese blau.
Der Marxismus-Leninismus hat im Vergleich zur GSP-Ideologie nicht nur Praxis vorzuweisen. Es arbeitet auch überall auf der Welt ein im Vergleich überwältigendes akademisches und wissenschaftliches Potential an seiner Weiterentwicklung und stetigen Anpassung an sich verändernde Bedingungen.
Bei der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation handelt es sich um eine Massenpartei der Arbeiterklasse und der werktätigen Klassen insgesamt, die zweitgrößte Partei Rußlands. Bei der Kommunistischen Partei der Ukraine handelt es sich um eine Arbeiterpartei, die in der Ukraine über einen gewissen Masseneinfluß verfügte und führend an der Gründung der Volksrepubliken beteiligt war. Diese beiden Nachfolgeorganisationen der KPdSU sind also keine bedeutungslosen Sekten und sind aus unterschiedlicher Perspektive Zeugen und Akteure der Entwicklungen in der Ukraine bzw. ehemaligen Ukraine.
Die KPRF hat von Anfang an für eine Anerkennung der Volksrepubliken gekämpft und für einen militärischen Beistand Rußlands. Die russischen Oligarchen wollten dies unter allen Umständen verhindern, denn ihre Macht hängt von einer weitgehenden Integration Rußlands ins ökonomische Gefüge des Westens ab. Rußland hat die nationale Befreiung von westlicher imperialistischer Vorherrschaft vollzogen und beginnt nun mit einem roll-back der ökonomischen Ergebnisse der Konterrevolution von 1988-91 in Rußland und einer weiteren Zurückdrängung des westlichen Einflusses im postsowjetischen Raum.
Rußland istt eines der ganz wenigen Länder auf der Welt, in der eine reale Vermögensverteilung von oben nach unten stattfindet. Die Einkommen des reichsten Prozents schwinden und die Einkommen der Ärmsten 10% steigen. Der Staat baut seine Kontrolle über die Wirtschaft weiter aus, es gab Verstaatlichungen und Zusammenschlüsse zu Technologiegiganten unter staatlicher Führung. Medwedew und Peskow sprechen sogar von der Wiedereinführung planwirtschaftlicher Elemente. Schon vor dem Krieg in der Ukraine betrug der direkte staatliche Anteil am BIP 60%.
International hat der Beginn der russischen Sondermilitäroperation eine Kaskade von Ereignissen ausgelöst, die die globalen Machtverhältnisse ins Wanken bringen und die Vorherrschaft des Westens erodieren lassen. Es war ein Signal an die Welt, sich jetzt zu erheben und die Gunst der Stunde zu nutzen. Und genau das ist auch eingetreten. Die Vorherrschaft des Westens wird an allen globalen Frontlinien herausgefordert: China setzt selbstbewußt seinen rechtmäßigen Anspruch auf Taiwan auf die Tagesordnung, die DVRK bricht jegliche Anbiederung an das südkoreanische Marionettenregime ab und testet munter neue Waffensysteme, im Sahel erheben sich die Bevölkerungen von Mali, Niger, Burkina-Faso, Gabun und patriotische Militärs übernehmen die Macht, werfen die französischen Kolonialherren aus dem Land und verbrüdern sich mit Rußland.
Selbst die treuesten Untertanen des Westens trauen sich nicht, irgend etwas gegen Rußland zu unternehmen. BRICS wird von einem Papiertiger zu einer realen Alternative für eine neue Weltwirtschaftsordnung und ein Symbol für die De-Dollarisierung des Welthandels.
Ich könnte noch viele weitere Entwicklungen noch viel genauer und detaillierter abhandeln. Aber all diese Fakten lassen wirklichen Gegnern des Imperialismus keine andere Option, als Rußland in diesem Kampf und den Auf- und Ausbau der BRICS zu unterstützen. Und genau das tun alle sozialistischen Staaten der Welt, die sozialistischen Massenbewegungen des Trikont und alle antiimperialistischen Staaten und Massenbewegungen. Ihnen schließen sich auch etliche andere Regierungen an, die mit dem Westen noch eine Rechnung zu begleichen haben. Wir haben es mit einer globalen Revolution zu tun, die Kommunisten keine andere Wahl läßt, als sie mit allen Kräften zu unterstützen oder auf der falschen Seite der Geschichte zu stehen.
Daß Rußlands SMO nur Auslöser und nicht Ursache ist und einem realen Wandel sowohl der ökonomischen Entwicklung als auch qualitativen Veränderungen in der Entwicklung der Produktivkräfte und Produktionsverhältnisse, werde ich noch an anderer Stelle begründen und ausführen.
Nachweise & Literatur (wird erweitert):
Spezialoperation gegen den Imperialismus (Kommunistische Organisation)
Interview: Alexej Albu von Borotba über faschistischen Terror und den Krieg in der Ukraine (Kommunistische Organisation)
Die Pyramide der bürgerlichen Ideologie [Zur Imperialismus-Konzeption der KKE] (Kommunistische Organisation)
On the current state and problems of the communist movement (Communist Party Great Britain – Marxist-Leninist)
Ukraine: Standstill is deadly dangerous (Erklärung der Kommunistischen Partei der Russischen Föderation; Forderung nach Anerkennung der Volksrepubliken Lugansk und Donetzk; 2014)
Schreibe einen Kommentar
Du musst angemeldet sein, um einen Kommentar abzugeben.