WÖRD-Talk 9/2023: Sozialismus – Alternative oder Utopie?

„Sozialismus oder Barbarei“, heißt es, und in der kapitalistischen Barbarei sind wir seit 500 Jahren, heute schlimmer (aber moderner) als je zuvor. Wir sprechen über den Begriff „Sozialismus“ und versuchen, ihn zu definieren. Oder einer Definition nahezukommen. Wie stellen wir uns (jeder einzelne) Sozialismus vor? Wie wird, wie könnte eine sozialistische Gesellschaft aussehen? Ist es überhaupt ratsam oder klug, sich solche Vorstellungen zu machen? 

4 Antworten zu „WÖRD-Talk 9/2023: Sozialismus – Alternative oder Utopie?“

  1. Avatar von Chris Sedlmair
    Chris Sedlmair

    Zur Einordnung verschiedener Positionen, die in der Diskussion zur Geltung kamen oder angeschnitten wurden, im Kontext marxistisch-leninistischer Theoriegeschichte hier eine der bedeutendsten Schriften des Linienkampfes in der Arbeiterbewegung als Literaturempfehlung. Unsere Streitpunkte sind keinesfalls neu, sondern repräsentieren bereits seit langem existente Strömungen der Arbeiterbewegung

    W. I. Lenin: Der „Linke Radikalismus“, die Kinderkrankheit im Kommunismus
    https://www.marxists.org/deutsch/archiv/lenin/1920/linksrad/

  2. Avatar von Bernd Bellefontaine
    Bernd Bellefontaine

    Die Streitpunkte zur Zeit der Veröffentlichung dieser Schrift waren andere, mehr auf die damalige politische Praxis der Kommunisten Ausgerichtete. Der moderne Nationalismus und der Faschismus waren zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeprägt. Wir führen hier keinen „Linienkampf“, sondern versuchen anhand eines argumentativ geführten Diskurses politische Phänomene und Begriffe auf der Grundlage des wissenschaftlichen Sozialismus einer Klärung zuzuführen, wobei es nicht darum gehen sollte durch (ML-)Ideologie vorgefasste Urteile durchzusetzen.

  3. Avatar von World of Bobby

    Vielleicht wären solche Konzepte einer Anregung vor allem dazu geeignet, dir lieben Chris klar zu machen, das wir im 21. Jahrhundert leben, und nicht im 19. Jahrhundert. Wir haben vielleicht immer noch die selben Klassengegensätze, ja, aber die Möglichkeiten, technologisch als auch auf wissenschaftlicher Logik begründet etwas anderes, auch im „Hier und Jetzt“, schon umzusetzen. Sowas wäre möglich, wenn Leute wie du anderen Leuten nicht erzählen würden das Nationen und Staaten etwas fortschrittliches seien und wir alle doch bitte noch ein wenig verzichten müssen bis der Mensch interstellar werde. LOOL

    „Das Venus-Projekt wurde um 1975 von Jacque Fresco und der ehemaligen Porträtmalerin Roxanne Meadows in Venus, Florida, aus der Liquidierung seiner vorherigen Firma sociocyberneering inc. gestartet. Das Forschungsareal ist ein 85.000 m² großes Grundstück. Dort stehen verschiedene von Fresco entworfene Kuppelbauten, in denen beide an der Produktion von Büchern und Filmen arbeiteten, die ihre Konzepte und Ideen veranschaulichen sollen. Fresco hat eine große Menge an Maßstabsmodellen gebaut, die auf seinen Entwürfen basieren. Das Venus-Projekt wurde offiziell 1995 gegründet.“ „Das Venus-Projekt basiert auf der Idee, dass Armut durch den verlangsamten Fortschritt der Technik entsteht, der seinerseits durch das gegenwärtige kapitalistische Wirtschaftssystem hervorgerufen wird. Könnte die technologische Entwicklung unabhängig von ihrer Rentabilität voranschreiten, so Frescos Theorie, würden mehr Ressourcen für mehr Menschen verfügbar gemacht, wodurch Korruption und Habgier abnehmen und die Menschen stattdessen einander eher helfen würden. Fresco unterstützte eine ressourcenbasierte Wirtschaft gegenüber einer geldbasierten.“

    „Eines der Hauptthemen Frescos war das Konzept einer auf Ressourcen basierenden Ökonomie, welche die derzeitige, auf Knappheit und Monetarismus beruhende Geldpolitik ablösen solle. Fresco argumentierte, dass die Welt reich an natürlichen Ressourcen und Energie sei und dass mit moderner Technik, vernünftiger Effizienz und gleichzeitiger Aufhebung der Beschränkungen der ökonomischen Entwicklungsfähigkeit sämtliche Bedürfnisse der globalen Bevölkerung im Überfluss befriedigt werden könnten.“

    „Um seine Idee besser verstehen zu können, gab er folgendes Beispiel an:
    Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges hatten die Vereinigten Staaten knapp 600 first-class Kampfflugzeuge. Dieser Mangel wurde rapide ausgeglichen, indem man 90.000 Flugzeuge pro Jahr produzierte. Die Frage zu Beginn des Zweiten Weltkrieges: Hatten wir genug Geld, um das benötigte Kriegsmaterial herzustellen? Die Antwort war Nein, wir hatten weder genug Geld noch hatten wir genug Gold, aber wir hatten genug Ressourcen. Es waren die verfügbaren Ressourcen, die den Vereinigten Staaten eine höhere Produktion und Effizienz erlaubten, was wiederum nötig war, um den Krieg zu gewinnen. Unglücklicherweise passiert so was nur in Zeiten des Krieges.“

    „Um sein Konzept durchführen zu können, erklärte Fresco, müsse man alle Ressourcen dieser Erde als ein gemeinsames Erbe aller Menschen verstehen und verwalten. Zu diesem Zweck müsse die Verfügbarkeit aller Ressourcen weltweit erfasst und ständig aktualisiert werden. Diese globale Übersicht würde erlauben, Entscheidungen über die optimale Nutzung der Ressourcen auf Basis von deren Nützlichkeit und regionalen Verfügbarkeit und nicht wie derzeit zur Optimierung der finanziellen Erträge zu treffen. Denn Fresco war überzeugt, dass die gängige Praxis der künstlichen Verknappung von Ressourcen aus Gründen der Profitmaximierung (z. B. festgesetzte Ölfördermenge) nicht vereinbar sei mit der Idee einer verantwortungsvollen, nachhaltigen Wirtschaft.“

    „Auch glaubte er, dass die geldbasierten Finanzsysteme und die Prozesse, die damit eng zusammenhängen, wie z. B. Fabrik- oder Akkordarbeit und Konkurrenz, der Gesellschaft nur schadeten und die Menschen von ihrem wahren Potential abhielten. Er war überzeugt, dass die gegenwärtige wirtschaftliche Situation, die auf der ganzen Welt Krisen auslöst, ähnlich wie die Große Depression der 1930er Jahre, das Vertrauen der Menschen in die geldorientierte Politik schmälere und somit weg von freier Marktwirtschaft und Kapitalismus führen werde.“

    „Den nächsten Schritt zum Übergang zu einer solchen Gesellschaft sah Fresco in der Abschaffung einer finanzbasierten Wirtschaft und im Verzicht auf das Geld als Zahlungsmittel. Nach seiner Meinung würde das zum Ende von Gier, Armut, Diskriminierung und Kriminalität führen. In der ressourcenbasierten Ökonomie würde jeder das kostenlos bekommen, was er benötigt. In der vollautomatisierten Welt würde die Notwendigkeit zu arbeiten entfallen, was im heutigen System völlig absurd und irrational erscheine, weil es nicht rentabel sei. Auf die Frage, ob dann die Menschen nicht aufhören würden zu arbeiten, argumentierte er mit der Idee der Selbstverwirklichung, da man dann, frei von (finanziellen) Lasten und Einschränkungen, seinen Bedürfnissen nachgehen und persönliche Interessen verfolgen könne. Beispielsweise seien viele revolutionäre Technologien in der Geschichte der Menschheit von Wissenschaftlern ohne finanziellen Antrieb entwickelt worden.“ -wikipedia.org/Jacque_Fresco https://de.wikipedia.org/wiki/Jacque_Fresco#Das_Venus-Projekt

    1. Avatar von Chris Sedlmair
      Chris Sedlmair

      „Vielleicht wären solche Konzepte einer Anregung vor allem dazu geeignet, dir lieben Chris klar zu machen, das wir im 21. Jahrhundert leben, und nicht im 19. Jahrhundert. Wir haben vielleicht immer noch die selben Klassengegensätze, ja, aber die Möglichkeiten, technologisch als auch auf wissenschaftlicher Logik begründet etwas anderes, auch im „Hier und Jetzt“, schon umzusetzen. Sowas wäre möglich, wenn Leute wie du anderen Leuten nicht erzählen würden das Nationen und Staaten etwas fortschrittliches seien und wir alle doch bitte noch ein wenig verzichten müssen bis der Mensch interstellar werde. LOOL“

      Bobby, ist a richtig, daß grundsätzlich die Technologien da sind ein anderes wirtschaften zu ermöglichen. Es waren auch 1917 die Möglichkeiten gegeben ein anderes wirtschaftliches System als das 1917 im kapitalistischen Westen existierende zu etablieren, sonst hätte es ja die Sowjetunion nicht geben können. Du denkst die Sachen mit der Produktivkraftentwicklung aber nicht richtig zu Ende. Die Informationstechnologie z.B erlaubt es der chinesischen Regierung eine stärkere Kontrolle über private Konzerne auszuüben, als die Sowjetische Regierung in Moskau ein staatliches Kombinat in Wladiwostok zu kontrollieren im Stande war. Die Entwicklung der Produktivkräfte schaffen die mehr Freiheit und gleichzeitig mehr Möglichkeiten der gesellschaftlichen Kontrolle und Steuerung der Wirtschaft. Es ist nicht grundlos, warum ich in zahlreichen unserer Diskussionsrunde immer betone, daß die Entwicklung der Produktivkräfte im Sozialismus oberste Priorität eingeräumt werden muß. Die Angst vor den sozialen Folgen der Entfesselung der Produktivkräfte hat den Niedergang der RGW-Staaten überhaupt erst eingeleitet.

      Über das Venusprojekt und ähnliche utopische Ideen: Solche Dinge sind wichtig um zumindest theoretisch Systeme zu diskutieren, mit denen der sterbende Kapitalismus abgelöst werden kann. Trotzdem kommen wir nicht an der Machtfrage vorbei. Welche Klasse erhebt sich zur führenden Klasse und löst die sich in eine viel gefährlichere Tech-Feudalistische Klasse Finanzoligarchie ab? Isolierte kleinen Kommunen in einer imperialistischen Welt sind nicht dauerhaft Überlebensfähig und werden früher oder später absorbiert. Die realen Macht- und Eigentumsverhältnisse müssen erst einmal gebrochen werden um irgendeine Form alternativer Entwicklung zu ermöglichen. Und wie in der Diskussion um den Staat, verweise ich auch beim Geld darauf, daß die Bedingungen für die Notwendigkeit der Geldwirtschaft überwunden werden müssen/sollen. Aber eben auf einem Level, das effektiver ist als die Geldwirtschaft. Die Bedingungen hierfür schafft einerseits die Produktivkraftentwicklung (informationstechnologie z.B) und andererseits die Verschiebung der globalen Macht- und Eigentumsverhältnisse. Die Abschaffung des Warenaustauschs auf dem niedrigem Niveau wie im Kriegskommunismus ist eine Notstandsprogramm um das Überleben eines Staates zu sichern, bietet aber kein attraktives Modell, daß das Proletariat globale von der Richtigkeit und Notwendigkeit des Sozialismus überzeugt. Die Leute wollen ja besser leben im Sozialismus als im Kapitalismus und nicht schon wieder verzichten müssen.

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